Eltern können Traumata aus Verfolgung, Krieg, Vertreibung, sexualisierter und familiärer Gewalt an die Nachkommen weitergeben. Diese können aber Dank professioneller Hilfe aufgelöst werden. Es ist wichtig, dies im Auge behalten, wenn man Menschen unterstützt. Übrigens: Auch die Nachkommen der TäterInnen tragen Traumata weiter – einfach andere als die Opfer.
Hinweise auf vererbte Traumata zeigen, dass Betroffene vermehrt zu Depressionen, psychosomatischen und körperlichen Erkrankungen, Suchterkrankungen, posttraumatischen Belastungsstörungen oder zur Übernahme der Verantwortungs- und Schuldgefühle der Eltern neigen. Das Ganze hat auch Auswirkungen auf die Schmerzverarbeitung. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags veröffentlichte 2017 eine Studie dazu und listete 41 mögliche Punkte auf. Fachleute erwarteten eine Abschwächung im Laufe der Generationen, doch zeigen sich teilweise weiterhin starke Belastungen.
Kinder tragen das Leid weiter
ähnlichen Symptomen wie ihre Eltern, teilweise ohne dass sie wussten, was diese erlitten hatten. Es kam zu Untersuchungen mit dem Ergebnis, dass Eltern ihre traumatischen Erfahrungen unbeabsichtigt, unbewusst und ungewollt auf die nachfolgenden Generationen übertragen, unabhängig davon, ob Eltern davon sprechen oder nicht.
In den letzten Jahren haben Universitäten (auch Zürich) nachgewiesen, dass Traumata epigenetisch vererbt werden. Der Bauplan des Körpers, die DNA, ist in jeder Zelle identisch. Je nach Funktion einer Zelle sind andere Abschnitte des Plans an- oder abgeschaltet. Dies regelt die Epigenetik. Traumata beeinflussen die An-und Abschaltung mit entsprechenden Folgen, doch können diese auch durch eine gute Therapie wieder gelöscht werden!
Katharina Drexler, Psychiaterin und Traumatherapeutin, beschäftigt sich seit langem mit der Frage der Traumaweitergabe (siehe auch das Buch «Ererbte Wunden heilen»). Die Expertin sagt: «Nur was wir kennen, können wir erkennen. Und nur was wir erkennen, können wir auch heilen. Vererbte Wunden verursachen heutiges Leid.» Es ist darum wichtig, die eigene Familiengeschichte zu kennen, die Belastungen zu erkennen und sich dann für deren Heilung einzusetzen. In der Bibel heisst es in Exodus 34, die Schuld der Väter werde bis ins dritte und vierte Glied «heimgesucht». Sie beschreibt hier die menschliche Realität, es ist keine Schuldzuweisung.
Es geht darum, ein Bewusstsein in Betreuung, Seelsorge, Medizin und Bildung für das Problem zu entwickeln, konkrete Hilfe anzubieten und sich mit TherapeutInnen zu vernetzen. Der Ukrainekrieg, das Massaker / die Geiselnahmen am 7. Oktober 2023 in Israel sowie der Krieg im Nahen Osten haben das Thema nochmals verstärkt. Menschen mit einem Hintergrund der Balkankriege, Flüchtlinge und Betroffene von Missbrauch werden teilweise retraumatisiert mit Folgen für ihre körperliche und seelische Gesundheit.
Es geht darum, den Rucksack mindestens teilweise auszupacken und ihn nicht gleich schwer den Kindern und Enkeln weiterzugeben. Auch Organisationen wie die Vinzenzkonferenzen, die Menschen in Krisen beistehen, können hier hilfreich sein.
St. Gallen, Ende Februar 2024 von Christiane Faschon