Gott ist Mensch geworden, nicht Arbeitskraft.
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Die Krippe der MigrantInnen von Sant’Antonio in St.Gallen zeigt uns den Glauben unserer Vorfahren: Gott wird einer von uns. Er kriecht in unsere Haut, würdigt unsere Not und heilt sie im tiefsten Punkt. Die Gebärden vieler Figuren zeigen die Dankbarkeit der Menschen, dass Gott sich mit unserer Geschichte verbindet. |
Staunend versucht die Liturgie der Heiligen Nacht diese Zuwendung in Worte zu fassen:
Einen wunderbaren Tausch hast du vollzogen:
Dein göttliches Wort wurde ein sterblicher Mensch,
und wir sterblichen Menschen empfangen in Christus
dein göttliches Leben.
Die Figuren bewegen sich im Tag-und-Nacht Zyklus. Die Sonne geht auf und die Menschen beginnen ihr Tagwerk: Sie sägen, hämmern, fischen, pflügen, hacken, mahlen Korn, sammeln Eier ein, lesen Trauben, flicken Netze, besohlen Schuhe, kochen, waschen, hüten Kinder, halten den Mann vom Trinken ab und vieles mehr. Schönes wie Schweres wird Gott hingelegt. |
Die Krippe Sant’Antonio hat aber auch viel mit Schweizer Politik zu tun. Sie zeigt, wie sich die ItalienerInnen trafen, feierten, Hoffnung zusprachen, die erzwungene Trennung von Frau und Kindern verdauen mussten, um den Aufenthaltsausweis zitterten und beteten. Rund um sie warnten Plakate vor der «Überfremdung», Schimpfworte für Italienerinnen und Italiener waren alltäglich.
Wir riefen Arbeitskräfte …
Mit Hilfe des Saisonnier-Statuts wollte man für den Bau, die Industrie und den Tourismus Arbeitskräfte gewinnen, ohne Recht auf Niederlassung, Familiennachzug und Stellenwechsel. Von 1949 bis 1973 wurden darum 50’000 Kinder in der Schweiz versteckt *). Bis in die 1990er Jahre wurden sie nicht eingeschult und in der Entwicklung behindert. Dazu lebten viele Kinder in Italien bei den Grosseltern oder in Heimen. Im Ganzen waren eine halbe Million Kinder betroffen.
Das Statut diente in den 70er Jahren als Konjunkturpuffer, denn es gab noch keine Arbeitslosenversicherung. 300’000 ArbeiterInnen bekamen keine Arbeitsbewilligung mehr, sie durften nicht mehr einreisen.
Die Abschaffung des Saisonnier-Statuts erfolgte nach langem politischem Kampf: 75 Prozent der SchweizerInnen stimmten über die Schwarzenbach-Initiative ab, 1981 nur 16 Prozent für die Aufhebung der Familientrennung, ein Rekord bei der Ablehnung einer eidgenössischen Volksinitiative. Das Statut wurde 2002 auf Druck der Europäischen Union abgeschafft. Die Wiedereinführung scheiterte 2004 im Parlament.
… und es kamen Menschen
Man rief Arbeitskräfte, aber es kamen Menschen, schrieb Max Frisch. Einerseits verhalf das Statut Hunderttausenden von ItalienerInnen aus der Arbeitslosigkeit. Andererseits bürdete es den Familien die Trennung auf.
Die Botschaft von Bethlehem steht in scharfem Kontrast zur Realität, die viele italienische Familien und Einzelpersonen in der Schweiz erlebten. Ihre Sehnsucht, miteinander Weihnachten zu feiern, ist auf diesem Hintergrund mehr als verständlich.
Gerade an dieser Krippe muss uns die Frage bedrängen, warum es heute noch viele 100 Millionen Wander- und ZwangsarbeiterInnen gibt, deren einziger Zweck es ist, Arbeitskraft zu sein.
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Advent, |
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St. Gallen, Ende November 2024 von Peter Oberholzer